Claude Sandoz, 42 Entries
Claude Sandoz ist 1946 in Zürich geboren, wächst dort zweisprachig auf, besucht dann das Collège St. Michel in Fribourg. 1964 wechselt er an die Kunstgewerbeschule Bern und absolviert den Vorkurs in Biel (1965–66). Mit der Absicht in die Grafikfachklasse einzutreten, entscheidet er sich schliesslich für die freie Malerei. Der Unterricht bei Max von Mühlenen macht ihn mit der Ecole de Paris vertraut. Zugleich befasst er sich mit dem linearen Bildaufbau in Arbeiten von Henri Matisse, Pablo Picasso und Paul Klee. 1967 entstehen seine ersten grossformatigen Bleistiftzeichnungen. Mit dem eidgenössischen Kunststipendium ausgezeichnet (1967, 1968, 1969), zieht Sandoz nicht nur die Aufmerksamkeit Harald Szeemanns sondern auch das Interesse des Berner Galeristen und Sammlers, Toni Gerber, auf sich. Sandoz erhält in der Folge eine Reihe von Auszeichnungen und Förderbeiträgen (Kiefer-Hablitzel-Stipendium 1967, 1968; Louise Aeschlimann-Stipendium 1967, 1975; Kunststipendium der Stadt Zürich 1972, 1974). Ausserdem werden ihm Atelieraufenthalte in Rom (1969–1970, Istituto Svizzero) und Amsterdam (1972) zugesprochen. Nachdem er sein Atelier zu Beginn der 1970er Jahre vom ländlichen Bernbiet in die Berner Altstadt verlegt hat, zieht er 1976 nach Kriens. Hier gründet er mit dem befreundeten Schriftsteller, Tobias A. Biancone, die Zeitschrift „Der Blaue Berg“. Der Name verdankt sich dem Berg Pilatus als mythischem Emblem der Innerschweiz, verweist aber auch auf avantgardistische Schriften wie Wassily Kandinskys und Franz Marcs Almanach „Der Blaue Reiter“. Sandoz’ Zeitschrift schlägt kein Manifest vor, sondern bietet Schriftstellern und Künstlern eine Austauschplattform. In den 1980er Jahren bezieht sie die regionalen Zentren Aarau, Bern und Luzern ebenso ein wie die vitalen Kunstszenen in Köln oder Wien und wird in Zürich, Genf und Basel vertrieben. Als Autoren bringt Sandoz in insgesamt 14 Ausgaben bis 1986 weniger bekannte mit etablierten Namen wie Meret Oppenheim, Rolf Iseli oder Ueli Berger zusammen. 1983 bis 2005 unterrichtet er an der Ecole supérieure des beaux-arts de Genève und entscheidet von 1992 bis 2000 als Mitglied der eidgenössischen Kunstkommission über die Belange nationaler Kunstförderung. Eine Retrospektive seiner umfangreichen Arbeit findet 1994 im Bündner Kunstmuseum Chur statt. Sein unverwechselbares Lebenswerk wird 2002 mit dem Kulturpreis der Stadt Luzern gewürdigt und 2003 mit dem Prix Meret Oppenheim bedacht. Seit 1997 lebt Claude Sandoz halbjährlich in Luzern und Soufrière im karibischen Inselstaat St. Lucia.
Mit den Anliegen der Popart, der Konzeptkunst oder Fluxus identifiziert sich Claude Sandoz Ende der 1960er Jahre kaum. Er entwickelt aber eine besondere Faszination für neapolitanische Marionetten, für die linearen Muster ihrer prachtvollen Commedia dell’Arte-Kostüme einerseits, für Pathosformeln und Stereotype der dargestellten Charaktere andererseits. Indes fordern die 1969 von Harald Szeemann erstmals in der Schweiz gezeigten, material- und prozessorientierten Installationen („When attitudes become form. Live in your head“, Kunsthalle Bern) seinen bisherigen Kunstbegriff heraus. Die Rassenunruhen in den USA und die sozialpolitische Aufbruchstimmung der 1968er-Bewegung geben ihm den Anstoss, sich mit fremden Kulturen aus einer kolonialismuskritischen Perspektive zu befassen. Mit seiner ersten Orientreise verwirklicht Claude Sandoz zugleich den Jugendtraum eines kosmopolitischen, abenteuerlichen Lebens. Von den gesammelten Reise-Eindrücken überwältigt, sieht er sich im Atelier des Istituto Svizzero über den Dächern der antiken Stadtkulisse Roms gezwungen, seine Bildsprache neu zu definieren. Angeleitet von Mitstipendiat Johannes Gachnang (1939–2005) findet Sandoz in der Radierung ein geeignetes Medium, um seinen inneren Empfindungen Ausdruck zu verleihen. Die nach und nach entstehenden Grafikserien „Rom“, 1969; „Bern“, 1970/71 und „Amsterdam“, 1972 (vgl. KML GH 83.12–47z) nehmen seine später immer deutlicher zutage tretende Arbeitsweise in Zyklen und Werkkomplexen bereits vorweg. Den Hang zur Akkumulation begründet Claude Sandoz wie folgt: „Zu Beginn der 1970er Jahre verlor ich das Interesse am Einzelbild. Der Prozess interessierte mich: wie ein bestimmtes Formenvokabular für einen Zeitabschnitt des Lebens sprechend wird.“ Schliesslich kombiniert er Grafikserien und Textilien mit Soundperformances in den Galerien Toni Gerber („Mister Sun and Missis Moon“, 1973) und Martin Krebs zu raumgreifenden Installationen. Sein Hauptinteresse liegt jedoch weiterhin bei Malerei und Zeichnung, die er neuerdings meist in flüssiger, konzentriert aufgebrachter Tusche oder Pastellkreide ausführt.
Während den 1980er Jahren werden grossformatige, seriell angelegte und ornamental strukturierte Zeichnungen zu Sandoz’ ‚Markenzeichen’. Seine graphischen Farb-Formenpuzzles können rhythmisch gelesen werden und betonen die Flächigkeit des Bildträgers. Während ornamental geprägte Bildkompositionen von Henri Matisse dank der Verteilung von Farbe und Form den Blick stets von der Mitte weg auf die Randzonen lenken, lässt Sandoz dagegen einem Crescendo gleich Farbintensität und Formenkomplexität zur Bildmitte hin anschwellen. Häufig arbeitet er auch mit gespiegelten Motiven. Während Schnörkel, Formen und Farben die Bilder über und über strukturieren, erinnert der ornamentale ‚horror vacui’ an Zeichnungen Adolf Wölflis. In Mustern oder grellen Farbkombinationen reflektieren Sandoz’ Arbeiten aber auch Mode und Zeitgeist. Collagen sowie die Acrylbilder aus dem Zyklus „Nachtbilder“ (1971–1984) basieren auf der Spannung zwischen Vielheit und Einheit. Der perspektivische Bildraum ist aufgelöst: Einzelformen treten in einen Dialog, fügen sich dabei zu neuen, über- oder untergeordneten Gesamtbildern, gleichsam zum Vexierbild.
Während ausgedehnten Aufenthalten in Griechenland, Syrien, Irak, Iran, Indien, Nepal, Burma, Senegal, Ägypten, China und auf den karibischen Inseln vertieft Claude Sandoz seine Auseinandersetzung mit dem Ornament, besonders in den vom Bildverbot geprägten, islamischen Ländern und im asiatischen Raum. Kelimteppiche, japanische Holzschnitte aber auch Ex-Voto-Hinterglasmalerei – die Volkskunst überhaupt – werden so zum Bezugsystem seiner Arbeit. Sandoz’ Formenvokabular ist chiffrenhaft. Oft wirft es die Betrachter ohne eine tiefere Bedeutung preiszugeben auf die dekorative Bildoberfläche zurück. Es ist zunächst naheliegend, daraus formale Parallelen zum Neo-Expressionismus, der Neuen Wilden Malerei in Deutschland oder der italienischen Transavanguardia abzuleiten. In Überblicksausstellungen wie „CH `70 – `80“ (1981) zeigt das Kunstmuseum Luzern Claude Sandoz’ Arbeiten mit Werken von Martin Disler oder Heiner Kielholz, während Annelie Pohlen seine verspielte Auseinandersetzung mit Körper und Geschlecht damals Beiträgen von Francesco Clemente, Sandro Chia und Juliao Sarmento gegenüberstellt. Sandoz’ Malerei entzieht sich aber jeglicher Kategorisierung. Sie schafft eine eigene Welt, die Ornamentik unterschiedlichster Kulturkreise einverleibt und als Bildteppich der Globalisierung ausbreitet. Modellhaft zeigen sich darin Einklang und Spannung zwischen den Kulturen, Rassen und Geschlechtern sowie von Mikro- und Makrokosmos.
Zwischen 1990 und 1994 spezialisiert sich Sandoz auf die Seidenmalerei. Daran fasziniert ihn zum Einen mit verdünnten Farbtinkturen, „der materielosen Farbe“, auf hauchzartem Stoff zu arbeiten. Zum Anderen begeistert ihn die transluzente Leuchtkraft der satinierten Oberfläche. Wenn er Kaffeetassendekore oder Umschlagsmäppchensujets für Abonnemente der Schweizerischen Bundesbahnen entwirft (1993), macht er kulturell geprägte Muster in einer zunehmend vernetzten und wirtschaftlich strukturierten Welt verfügbar. Als bildliche Universalsprache verbreitet er sie piktogrammartig im Alltag. Während eines Atelieraufenthalts auf der Karibik-Insel St. Lucia findet der langjährige Globetrotter 1997 eine zweite Heimat und neue Inspiration für seine Arbeit. Obwohl er das Leben auf der ehemaligen Sklaveninsel mit Fotografien und Musiksamplern („Carribean Colors, Carribean Sounds“, 1997–2006) dokumentiert, wird es ruhig um ihn. 2011 zeigt er in Môtiers seine Vision einer Kunsthalle für St. Lucia: Ein ausgedienter Heuschober wird zum farbenfrohen Modell für ein Museum.
Gabrielle Schaad
Mit den Anliegen der Popart, der Konzeptkunst oder Fluxus identifiziert sich Claude Sandoz Ende der 1960er Jahre kaum. Er entwickelt aber eine besondere Faszination für neapolitanische Marionetten, für die linearen Muster ihrer prachtvollen Commedia dell’Arte-Kostüme einerseits, für Pathosformeln und Stereotype der dargestellten Charaktere andererseits. Indes fordern die 1969 von Harald Szeemann erstmals in der Schweiz gezeigten, material- und prozessorientierten Installationen („When attitudes become form. Live in your head“, Kunsthalle Bern) seinen bisherigen Kunstbegriff heraus. Die Rassenunruhen in den USA und die sozialpolitische Aufbruchstimmung der 1968er-Bewegung geben ihm den Anstoss, sich mit fremden Kulturen aus einer kolonialismuskritischen Perspektive zu befassen. Mit seiner ersten Orientreise verwirklicht Claude Sandoz zugleich den Jugendtraum eines kosmopolitischen, abenteuerlichen Lebens. Von den gesammelten Reise-Eindrücken überwältigt, sieht er sich im Atelier des Istituto Svizzero über den Dächern der antiken Stadtkulisse Roms gezwungen, seine Bildsprache neu zu definieren. Angeleitet von Mitstipendiat Johannes Gachnang (1939–2005) findet Sandoz in der Radierung ein geeignetes Medium, um seinen inneren Empfindungen Ausdruck zu verleihen. Die nach und nach entstehenden Grafikserien „Rom“, 1969; „Bern“, 1970/71 und „Amsterdam“, 1972 (vgl. KML GH 83.12–47z) nehmen seine später immer deutlicher zutage tretende Arbeitsweise in Zyklen und Werkkomplexen bereits vorweg. Den Hang zur Akkumulation begründet Claude Sandoz wie folgt: „Zu Beginn der 1970er Jahre verlor ich das Interesse am Einzelbild. Der Prozess interessierte mich: wie ein bestimmtes Formenvokabular für einen Zeitabschnitt des Lebens sprechend wird.“ Schliesslich kombiniert er Grafikserien und Textilien mit Soundperformances in den Galerien Toni Gerber („Mister Sun and Missis Moon“, 1973) und Martin Krebs zu raumgreifenden Installationen. Sein Hauptinteresse liegt jedoch weiterhin bei Malerei und Zeichnung, die er neuerdings meist in flüssiger, konzentriert aufgebrachter Tusche oder Pastellkreide ausführt.
Während den 1980er Jahren werden grossformatige, seriell angelegte und ornamental strukturierte Zeichnungen zu Sandoz’ ‚Markenzeichen’. Seine graphischen Farb-Formenpuzzles können rhythmisch gelesen werden und betonen die Flächigkeit des Bildträgers. Während ornamental geprägte Bildkompositionen von Henri Matisse dank der Verteilung von Farbe und Form den Blick stets von der Mitte weg auf die Randzonen lenken, lässt Sandoz dagegen einem Crescendo gleich Farbintensität und Formenkomplexität zur Bildmitte hin anschwellen. Häufig arbeitet er auch mit gespiegelten Motiven. Während Schnörkel, Formen und Farben die Bilder über und über strukturieren, erinnert der ornamentale ‚horror vacui’ an Zeichnungen Adolf Wölflis. In Mustern oder grellen Farbkombinationen reflektieren Sandoz’ Arbeiten aber auch Mode und Zeitgeist. Collagen sowie die Acrylbilder aus dem Zyklus „Nachtbilder“ (1971–1984) basieren auf der Spannung zwischen Vielheit und Einheit. Der perspektivische Bildraum ist aufgelöst: Einzelformen treten in einen Dialog, fügen sich dabei zu neuen, über- oder untergeordneten Gesamtbildern, gleichsam zum Vexierbild.
Während ausgedehnten Aufenthalten in Griechenland, Syrien, Irak, Iran, Indien, Nepal, Burma, Senegal, Ägypten, China und auf den karibischen Inseln vertieft Claude Sandoz seine Auseinandersetzung mit dem Ornament, besonders in den vom Bildverbot geprägten, islamischen Ländern und im asiatischen Raum. Kelimteppiche, japanische Holzschnitte aber auch Ex-Voto-Hinterglasmalerei – die Volkskunst überhaupt – werden so zum Bezugsystem seiner Arbeit. Sandoz’ Formenvokabular ist chiffrenhaft. Oft wirft es die Betrachter ohne eine tiefere Bedeutung preiszugeben auf die dekorative Bildoberfläche zurück. Es ist zunächst naheliegend, daraus formale Parallelen zum Neo-Expressionismus, der Neuen Wilden Malerei in Deutschland oder der italienischen Transavanguardia abzuleiten. In Überblicksausstellungen wie „CH `70 – `80“ (1981) zeigt das Kunstmuseum Luzern Claude Sandoz’ Arbeiten mit Werken von Martin Disler oder Heiner Kielholz, während Annelie Pohlen seine verspielte Auseinandersetzung mit Körper und Geschlecht damals Beiträgen von Francesco Clemente, Sandro Chia und Juliao Sarmento gegenüberstellt. Sandoz’ Malerei entzieht sich aber jeglicher Kategorisierung. Sie schafft eine eigene Welt, die Ornamentik unterschiedlichster Kulturkreise einverleibt und als Bildteppich der Globalisierung ausbreitet. Modellhaft zeigen sich darin Einklang und Spannung zwischen den Kulturen, Rassen und Geschlechtern sowie von Mikro- und Makrokosmos.
Zwischen 1990 und 1994 spezialisiert sich Sandoz auf die Seidenmalerei. Daran fasziniert ihn zum Einen mit verdünnten Farbtinkturen, „der materielosen Farbe“, auf hauchzartem Stoff zu arbeiten. Zum Anderen begeistert ihn die transluzente Leuchtkraft der satinierten Oberfläche. Wenn er Kaffeetassendekore oder Umschlagsmäppchensujets für Abonnemente der Schweizerischen Bundesbahnen entwirft (1993), macht er kulturell geprägte Muster in einer zunehmend vernetzten und wirtschaftlich strukturierten Welt verfügbar. Als bildliche Universalsprache verbreitet er sie piktogrammartig im Alltag. Während eines Atelieraufenthalts auf der Karibik-Insel St. Lucia findet der langjährige Globetrotter 1997 eine zweite Heimat und neue Inspiration für seine Arbeit. Obwohl er das Leben auf der ehemaligen Sklaveninsel mit Fotografien und Musiksamplern („Carribean Colors, Carribean Sounds“, 1997–2006) dokumentiert, wird es ruhig um ihn. 2011 zeigt er in Môtiers seine Vision einer Kunsthalle für St. Lucia: Ein ausgedienter Heuschober wird zum farbenfrohen Modell für ein Museum.
Gabrielle Schaad