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Stefan à Wengen, 14 Entries

Stefan à Wengen wird 1964 in Basel geboren, wo er auch aufwächst. Von 1981 bis 1986 besucht er die Kunst- und allgemeine Gewerbeschule und lässt sich zum Grafiker ausbilden. Parallel dazu widmet er sich der Malerei und bestreitet noch während der Ausbildungszeit in der Galerie von Peter Bläuer seine erste Ausstellung. Vorerst schafft er ein ungegenständliches Werk, das im Umkreis der damaligen Neo-Geo-Bewegung situiert werden kann. Mit John M Armleder verbindet den Künstler eine frühe, gemeinsame Ausstellung. Aus der Auseinandersetzung mit reduzierten Formen entsteht zu Beginn der 1990er Jahre ein Interesse für einfache Bildzeichen und für Symbolik. Diese Phase fällt zusammen mit einem längeren Aufenthalt in New York – John Armleder stellte ihm sein Atelier zur Verfügung – und dem darauf folgenden Umzug nach Deutschland. Heute Stefan à Wengen lebt in Düsseldorf.

Die Beschäftigung mit grafischen, der geometrischen Formensprache entlehnten Symbolen führt Stefan à Wengen schliesslich zur gegenständlichen Malerei. Das Interesse an bildhaften Zeichen bestimmt bis heute sein Werk: Ein persönliches Repertoire an Bedeutungsträgern – zum Beispiel das Tier, das Haus, die Nacht, das Wasser, das Schiff oder der Baum – mit Referenzen zu unterschiedlichen kulturellen Codes hat sich seither herausgebildet.

Eine erste zusammenhängende Bildserie bilden ab 1998 die Baumhäuser. Es sind ephemere architektonische Strukturen, die sich mit der Natur zu symbiotischen Gebilden vereinen. Personen sind in diesen Gemälden nie zu sehen; ob die Baumhäuser benutzt werden oder verlassen wurden, bleibt unklar. Typisch ist die fast monochrome Malweise, die den Gemälden eine andere Zeitlichkeit verleiht (vgl. KML L 2010.230x). Einerseits erwecken sie den Eindruck, als ob sich ihre Farbigkeit im Laufe der Zeit verändert hätte, andererseits können sie – je nach Mach- und Lesart – als Darstellungen einer traumartigen Wirklichkeit interpretiert werden. Zeitgleich beginnt à Wengen eine Serie zu amerikanischen Babtistenkirchen. Die Motive findet er in Publikationen und Zeitschriften, doch er verwendet ebenso Fotografien, die er selbst geschossen hat. Dieses Bildmaterial dient ihm als Ausgangspunkt für einen zeichnerischen Prozess, in welchem er die Qualitäten des Motivs erforscht, die Hell-Dunkel-Effekte auslotet und schliesslich die Farbigkeit für die auszuführende Malerei wählt.

Die Gegenständlichkeit in à Wengens Malerei ist nicht mit einer abbildenden Wirklichkeit zu verwechseln. Auch wenn seine Vorlagen aus den unterschiedlichsten Quellen stammen, zielen sie letztlich auf unseren eigenen Bildspeicher. Seine Gemälde funktionieren als Referenz-Angebote in einem sehr unmittelbaren Prozess von der Wahrnehmung über die Erinnerung zur Wirkung. À Wengens Bilder treffen auf eine kollektive visuelle Erinnerung, die aber vom Betrachter individualisiert und als seine unmittelbare persönliche Erinnerung wahrgenommen wird.

Einen grossen Stellenwert in à Wengens Werk hat die alte, bei ihm stets mit Irritationen behaftete Bildgattung des Porträts. Seine Porträts – dazu sind auch die Tierporträts zu zählen – erweisen sich als Ikonen des Bösen, Bedrohlichen und Unheimlichen. Die besondere Wirkung des Blickkontaktes, die dem Wesen des Porträts eigen ist, stellt den zentralen Aspekt in den „49 Geisterporträts“, eines der Hauptwerke des Künstlers (Privatbesitz Deutschland), dar. Ausgangspunkt dieser 2005 entstandenen Porträt-Serie ist die Frage nach dem Vermögen eines Bildes, das Böse als eine menschliche Konstante darzustellen. Dies soll nicht durch den Verweis auf die allseits bekannten Bösewichte, Kriegsverbrecher und Diktatoren aus der Geschichte der Menschheit geschehen, deren Antlitze fast reflexartig Gefühle auszulösen vermögen, sondern indem das Böse als ein Teil von uns allen gezeigt wird. Dabei spielt der vermeintliche Augenkontakt mit dem Gegenüber im Bild eine zentrale Rolle. Stefan à Wengen hat die Augenpaare von Pol Pot, Idi Amin, Josef Stalin, Reinhard Heydrich und anderen in die Physiognomie von ganz gewöhnlichen Männern eingepflanzt, deren Porträts er in einer frei zugänglichen Bilddatenbank bezog. Aus jedem einzelnen dieser ’Jedermanns‘ ist die Möglichkeit eines Verbrechers geworden, der uns mit ’bösem Blick‘ anschaut. Es sind insgesamt 49 Variationen, die aneinandergereiht eine beachtliche Galerie des Bösen ergeben.

Der bisher jüngste umfassende Themenkomplex mit dem Titel „The Mission“ ist aufgrund mehrerer Reisen nach Papua und aus der intensiven Beschäftigung mit dieser uns gänzlich fremden Kultur entstanden. Zu „The Mission“ gehören mehrere Gemälde mit Pfahlbauten, vor denen 'fremde', modernistische Skulpturen der klassischen westlichen Moderne stehen, dann einige Vogelporträts sowie eine Serie von Einbaumdarstellungen (vgl. KML L 2010.232x). À Wengens Bilder der südpazifischen Kultur irritieren durch die Abwesenheit jeglicher lebenden Menschen. Während die Vogelporträts im Verständnis der Papua-Kultur als Stellvertreter von Verstorbenen zu deuten sind, evozieren die einbaumartigen Schiffe ebenso eine Todesthematik, indem sie uns an mythologische Vorstellungen des Übergangs vom Reich der Lebenden zu jenem der Toten erinnern.

Obwohl in seinen Gemälden nichts passiert, sind stets Konsequenzen intendiert. In diesem Sinne ist à Wengens Malerei narrativ. Eine ganz eigene, beklemmende, befremdliche, bisweilen bedrohliche Stimmung geht von seinen Gemälden aus. Den Kern seiner künstlerischen Arbeit besetzt das Unheimliche, das in der Geschichte der Malerei eine lange Tradition hat. Formal besehen liegen seinen atmosphärisch aufgeladenen Gemälden die Medien des Films und der Reportagefotografie zugrunde. Die Referenzen sind vielfältig – man darf an Caspar David Friedrich, an Walt Disney oder an Alfred Hitchcock denken –, inhaltliche und formale Bögen können in die Geschichte und Gegenwart der visuellen Kultur geschlagen werden.

Neben der Teilnahme an den Ausstellungen des Eidgenössischen Kunstipendiums, das er zwei Mal erhält, und einigen Gruppenausstellungen ist à Wengen vor allem in Galerieausstellungen präsent. Seine Gemälde und Zeichnungen haben Eingang in bedeutende öffentliche und privaten Sammlungen in Deutschland, Spanien, den USA, der Schweiz und den Niederlanden gefunden. 2010 organisert das Kunstmuseum Luzern seine erste, viel beachtete institutionelle Einzelausstellung.

Christoph Lichtin