Dominique GobletStefano Ricci Caroline Sury

In Kooperation mit Fumetto – Int. Comix-Festival Luzern

01.05.25.07.2004
01.05.
25.07.2004

Comic-Zeichner und bildende Künstler verbindet eine rund hundertjähri­ge Beziehung der Faszination und Verachtung, des Gebens und Nehmens, der Annäherungen und Abgren­zungen und vor allem: der Missver­ständ­nisse. Diese Geschichte fand in Lyonel Feininger ihren ersten Grenzüber­schreiter – die Kunstwelt indessen hat den Umstand, dass der als kubisti­scher Maler und Bauhausmeister bekannte Feininger seine Laufbahn 1894 als be­gnadeter und erfolgreicher Cartoonist und Comic-Zeichner begann, lange geflissentlich ver­drängt. An Picassos Ausspruch, er bereue nur eines: keine Comics gezeichnet zu haben, erinnert sich vor allem die durch des Maestros Bekenntnis gebauchpinselte Comic-Szene. Dann gibt es noch Roy Lichtenstein: Indem der Pop-Künstler Einzelbilder aus trashigen Sixties-Comics grossformatig abmalte und mit neuen Sprechblasentexten versehen zu Kunstwerken adelte, gelangte er zu Weltrum – von wem aber die bunten Vorlagen stammten, interessierte niemanden. Warum auch? Comics sind ja keine Kunst.

Lange haben bildende Künstler Comics als einen unerschöpflichen Fundus brauchbarer Ikonen betrachtet, in welchem sie sich frei bedienen konnten. Die Comics boten den Ruch des Niederen und Verbotenen, ihre Vitalität belebte Galerien- und Museumswände, und ihre Popularität garantierte Reali­tätshaftung durch Wiedererkennung. Die Comics selbst hingegen hatten, ausserhalb Frankreichs jedenfalls, im Museum nichts zu suchen. Andererseits scheiter­ten die meisten Versuche von Comic-Zeichnern (die, zumindest in den ersten Jahrzehnten der Comic-Geschichte, nicht selten verhinderte Maler waren – als Beispiel soll hier nur der Globi-Zeichner Robert Lips erwähnt sein), in der Kunstwelt Fuss zu fassen, nicht selten an der mangelnden künstlerischen Qualität ihrer Arbeiten. Ein vergrösser­tes Comic-Panel ist kein Bild, die bildende Kunst und der Comics sind zwei unter­schiedliche Ausdrucksformen mit eigenen Gesetzen, Möglich­keiten und Beschränkungen.

Zum Glück sind sowohl die Kunst-, als auch die Comic-Szene in Bewe­gung: Seit den siebzi­ger Jahren setzen sich immer mehr Künstler durch, die die letztlich künstliche Abgrenzung zwischen hoher und niederer Kultur unterlaufen und sich in beiden Welten gleichermassen wohlfühlen. Einer der ersten und bis heute konsequentesten Grenzgänger ist Gary Panter (Gast am Comixfestival Fumetto 2003), der eine ordentliche Karrie­re im Kunstbetrieb zu­gunsten eines anarchischen Vorwärtsgehens in alle Richtungen (Comics, Kunst, Illustration, Bühnenbilder, Webanimationen, Multimediaperformances, Werbung, Musik etc.) geopfert hat und heute das grosse Vorbild zahlloser ähnlich gesinnter Künstler auf der ganzen Welt ist. In der Schweiz ist M.S. Bastian (der dieses Jahr die Le Pulp-Fumetto-Bar dekoriert hat) das erfolgreichste Beispiel eines Künstlers, der sich unbekümmert zwischen Comic und Kunst tummelt. Eine ähnlich offe­ne und eigenwillige Haltung prägt auch die Arbeit und das Vor­gehen der hier präsentierten Dominique Goblet, Stefano Ricci und Caroline Sury.

Es ist kein Zufall, dass alle diese Künstler bereits zuvor am Luzerner Comix-Festival Fumetto ausgestellt haben. In der Tat ist Fumetto das vermutlich einzige Comic-Festival, das sich seit seinen Anfängen bewusst und konse­quent mit den Schnittstellen zwischen Comics und Kunst auseinandersetzt. Dabei war es nie die Absicht, die Comics durch etwelche Konzepte und Dogmen aufzuwerten und zu „hoher Kunst“ zu stilisieren. Fumetto wollte und will ganz ein­fach zeigen, wie interessant die in diesem weit offenen Brachland entste­henden Arbeiten sind.

Gerade die hier vorgestellten Künstlerinnen und Künstler vermögen aufzuzeigen, dass die Comic-Panels immer wieder auch zu eng sein können. Goblet, Sury und Ricci haben sich Freiräume geschaffen, um die für das jeweilige Projekt adäquate Form zu finden. Das können Comics oder Bilder sein, aber auch Zeichnun­gen, Siebdrucke, Objekte oder Installationen. Bei aller Individualität ist ihnen aber etwas gemein: Sie leugnen ihre Wur­zeln nicht, sondern bekennen sich stolz zu ihrer künstle­rischen Her­kunft. Deshalb ist in allen ihren Arbeiten – in ihren Comics ebenso wie in ihren Einzelbildern – eine narrative Ebene vorhanden.

Christian Gasser

Dominique Goblet (Belgien)

Dominique Goblet war im Rahmen des Comixfestivals Fumetto in Luzern schon mehrmals zu sehen: 1994 auf der Kapellbrücke, 1998 im Schwimmbad und im Hotel Rebstock. Goblet, die an der für ihre Comic-Kurse berühmten Kunsthochschule Saint-Luc in Brüssel studierte und ihre ersten Arbeiten im Umfeld der Comic-Avantgarde-Gruppe Fréon (heute Fremok) veröffentlichte, ist eine der talentiertesten Autorinnen und Zeichnerinnen ihrer Generation. Auch wenn auf den ersten Blick die Qualität ihrer Bilder auffällt, so steht für sie, wie sie gerne betont, immer das Erzählen einer Geschichte im Mittelpunkt. Das Pikturale und das Narrative halten sich die Waage; Goblet versteht es, auf wenigen Seiten komplexe und starke Geschichten subtil zu vermitteln. Die Comic-Szene wartet gespannt auf ihren autobiographischen Comic über ihr Verhältnis zu ihren Eltern, der noch 2004 im französischen Autorenverlag L’Association erscheinen wird. Die Kunstszene hingegen verfolgt mit Interesse ihr bereits mehrmals ausgezeichnetes Work in Progress Nikita – Dominique Goblet et sa fille: In gegenseitigen Portraits halten Dominique Goblet und ihre Tochter Nikita die äusseren und inneren Veränderungen ihrer Beziehung fest. Die hier von der Künstlerin selbst installierten Arbeiten vermitteln über Skizzen, Zeichnungen und Objekte einen Einblick in ihren kreativen Prozess und handeln unterschwellig von Machtkonstellationen, die das Zusammenleben bestimmen.

Stefano Ricci (Italien & Deutschland)

Stefano Ricci (*1966) ist sozusagen der Renaissance-Mann dieser Ausstellung. Er ist Comic-Autor, Illustrator und Künstler, aber auch Verleger, Siebdrucker und Ausstellungsmacher. Mit Giovanna Anceschi gab er die Reihe Mano heraus, die sich auf eine ebenso sinnliche wie intellektuelle, immer aber sehr offene Weise mit der Zeichnung im weitesten Sinn auseinandersetzte: Mit Bildergeschichten, Zeichnungen, Storyboards, Karikaturen etc. Diese Auseinandersetzung prägt auch seine eigene Arbeit. Auf jedem seiner Blätter ist der ganze Arbeitsprozess, von der ersten Skizze bis zum finalen Werk, sichtbar; er schichtet Arbeitsphase über Arbeitsphase, und seine Verwendung von  Materialien wie Ölpastellkreide, Bleistift, Klebeband, Leim-stift, Transparentpapier, Wasserfarbe oder Spray verleiht seinen Bildern eine geradezu reliefartige Oberfläche, die bisweilen an Farbschichten und andere organische Ablagerungen auf alten Mauern gemahnt. Seine Bilder und Illustrationen, aber auch seine Comics leben mehr von Atmosphären und Andeutungen denn von klaren narrativen Strukturen – ihre Unbestimmtheit soll eine subjektive Lesbarkeit ermöglichen. In den hier vorgestellten Arbeiten beschäftigt sich Ricci mit den Eigenschaften verschiedener Medien. Reproduktionsverfahren wie beispielsweise die Heliographie können zwar gewisse künstlerische Qualitäten des Originals nicht wiedergeben, fügen ihm andererseits aber neue hinzu.

Caroline Sury (Frankreich)

Caroline Sury (*1964) betreibt mit ihrem Partner Pakito Bolino den umtriebigen Undergroundverlag Le Dernier Cri in Marseille, der mit spektakulären Siebdruckbüchern, wilden Videofilmen und sensationellen Ausstellungen für Furore sorgt. In erster Linie ist Caroline Sury aber eine Künstlerin, die – immer inspiriert von ihrem Leben und ihrem Alltag – mit rohem Strich ausdrucksstarke, chaotisch anmutende Bilder zeichnet, in denen sie nicht mit spöttischer bis böser Überzeichnung geizt. Neben Publikationen im eigenen Verlag zeichnet Caroline Sury regelmässig auch für  L’Association, Strapazin und andere einschlägige Comic-Magazine und kommentiert den Alltag in der Mittelmeer-Metropole Marseille in einer wöchentlichen Zeichnung für das dortige Magazin L’Hebdo.

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