Christoph Rütimann, 17 Entries
Christoph Rütimann wird am 20. Mai 1955 in Zürich geboren, seine Kindheit und seine Jugend verbringt er im bündnerischen Schiers. 1976 erwirbt er 21-jährig das Primarlehrerpatent und bildet sich in den kommenden vier Jahren an der Schule für Gestaltung in Luzern zum Zeichenlehrer aus. Die Luzerner Kunstwelt der späten 1970er Jahre ist geprägt von Jean-Christophe Ammanns Tätigkeit am Kunstmuseum Luzern, das künstlerische Klima in der der Stadt ist inspirierend, Rütimann fasziniert von Jannis Kounellis, der im Frühjahr 1977 im Kunstmuseum ausstellt, oder Michael Snow, dem Martin Kunz 1979 eine Schau widmet. Nach Abschluss der Ausbildung unterrichtet Rütimann von 1981 bis 1988 an der Kantonsschule im Luzernischen Willisau, ebenfalls in dieser Zeit beginnt er sich intensiv der Kunst zu widmen und seine ersten Arbeiten und Performances in der Schweiz und im Ausland zu zeigen.
„Ich habe mich schwer getan mit Malerei und Zeichnung“, bemerkt Rütimann rückblickend auf seine Luzerner Ausbildungszeit und die erste, von der Performance dominierte Schaffensphase in den frühen 1980er Jahren. Zugleich erinnert er sich aber auch an ein Gefühl der Freiheit, das zu Beginn des Jahrzehnts in der Luft lag. Gemäss Rütimann resultierte diese Stimmung vor allem daraus, dass sich die Kunst des 20. Jahrhunderts bereits mit allen ihren Ausprägungen differenziert beschäftigt hatte: „Nachdem alles untersucht war, konnte man sich wieder frei bewegen.“ Es ist diese Freiheit, die sich auch in Rütimanns bald dreissigjährigem künstlerischen Schaffen manifestiert und die dennoch Kontinuitäten zu generieren vermag. So lassen sich trotz der ab und an verwirrenden Vielzahl von künstlerischen Strategien Schwerpunkte in Rütimanns Œuvre ausmachen. Der performative Ansatz, die Linie als zwei- und dreidimensionale Grenzmarkierung, die Farbe, die Komponente des Zufalls und der Gravitation sind wiederkehrende und zugleich auch miteinander verknüpfte Elemente in seinem Werk. Rütimann malt, zeichnet, ist Performer, schafft Installationen, arbeitet mit Foto- und Videokamera, räumt jedoch keinem dieser Ausdrucksmittel eine Sonderstellung ein.
1983 führt Rütimann am Performance-Festival im Palazzo Liestal „Natura morta in pezzi“ auf und greift durch den Einbezug von Klang, Sprache und theatralischen Elementen Aspekte auf, die für sein späteres Schaffen prägend sein sollten. Ebenfalls in den frühen 1980er Jahren führt Rütimann die ersten Experimente mit Ton und Klang durch, die er später zu wahren Klangperformances verdichtet. Zur Performance als künstlerische Aktionsform kehrt Rütimann im Verlaufe seines Werdegangs immer wieder zurück. Zu nennen sind hier Aktionen wie „Der grosse Schlaf“ (1995) oder „Regalschlaf“ (1999), die sich der kunsthistorisch tradierten Schlafdarstellungen annähern oder die 1994 und 2002 realisierten Performances „Hängen am Museum“ (Vgl.: KML L 2003.6:1-4v, KML L 2003.7:1-4v) mit denen der Künstler unter anderem die physischen Möglichkeiten der Kunst auslotet und seine Position als Kunstschaffender kritisch hinterfragt.
Ein performativer Charakter ist ebenfalls der für Rütimann zentralen Beschäftigung mit der Linie immanent. 1987 zieht der Künstler für eine Ausstellung im Kunstmuseum Luzern seine erste grosse Linie. Auf einem eigens dafür angefertigten Wagen lässt er sich über die ausgelegten Papierbögen ziehen und zeichnet die Linie in einem Zug. Blatt an Blatt werden die Bögen an die Wand gehängt. Rütimann nennt die Installation „Die Unschärfe der Lilie“, die Ausstellungsbesucher stolpern über das L, irritiert von der mehr sprachlichen denn bildlichen Unschärfe. Zwei Jahre danach konzipiert er für die Shedhalle in Zürich erneut eine Linie auf Papier, zusätzlich platziert er in der Mitte des Raumes „Die endlose Linie“, eine grosses Skulptur aus einem Stahlrohr, das an ein physikalisches Modell erinnert. Die Beschäftigung mit der Linie ist für Rütimann auch der Ausgangspunkt für seine Zeichnungen, sie bildet das Zentrum seiner formalen zeichnerischen Recherchen, aus ihr entwickeln sich die mannigfachen Formen, die Rütimann zumeist mit Tusche entwirft. Die „Grosse Zeichnung“ (Vgl.: KML D 91.4x, Titelgebung verifizieren!), die er 1990/1991 für das Kunstmuseum Luzern ausführt, bricht mit den tradierten Dimensionen der Zeichnung und visualisiert einen an- und abschwellenden Energiefluss, den Rütimann – inspiriert von der Astrophysik – mit Tusche festhält.
1993 vertritt Rütimann die Schweiz an der Biennale in Venedig. Seine „Schiefe Ebene“ in der Kirche San Staë lehnt sich im weitesten Sinne erneut an das Element der Linie an: Die konkrete visuelle Irritation ist bedingt durch die – auch der Linie inhärente – Grenzziehung, die auf der Ebene der Dreidimensionalität die schiefe weisse Fläche aus Gips mit der vertikalen und horizontalen Ausrichtung der Barockkirche konfrontiert. Der Chorbereich der Kirche kann nicht mehr betreten werden, fast scheinen die Gemälde ob der Schräglage ins Gleiten zu kommen. Rütimanns Auseinandersetzung mit der Ebene in den frühen 1990er Jahren geht die Beschäftigung mit den Waagen voraus, die in seinem Œuvre einen weiteren Fokus bildet. So baut der Künstler 1991 seine erste schiefe Ebene im Kunstmuseum Luzern für eine Kopf stehende Briefwaage und konzipiert den Neigungswinkel der Ebene derart, dass das Eigengewicht der Waage dem eines Briefes entspricht. Weiter visualisieren die sich selbst wiegenden Waagen auch die Komponenten des Gewichts und der Gravitation, die Rütimann bezüglich seiner Waageninstallationen als zentral erachtet. Neben den performativen Strategien oder dem künstlerischen Ausdrucksmittel der Zeichnung und der Installation beschäftigt sich Rütimann immer wieder mit der Malerei. Die in den frühen 1980er Jahren zu verortende Skepsis gegenüber dem klassischen Ausdrucksmittel manifestiert sich in verschiedenen Annäherungsphasen an die Geschichte der Malerei einerseits und an ihre Überwindung andererseits. Um 1980 setzt sich Rütimann mittels Performances und Fotoarbeiten mit dem tradierten Genre des Stilllebens auseinander, zugleich zeugen spielerische Rückgriffe auf Marcel Duchamps Ikonen der Kunstgeschichte von einer Beschäftigung mit der Kunst jenseits der Malerei. Die „Schiefe Ebene“ in San Staë ergänzt er 1993 mit grossformatigen Hinterglasmalereien, die durch den Spiegelungseffekt die Malerei als bildgebendes Element in Frage stellen.
Christoph Rütimann widersetzt sich mit seinem Œuvre – für das er 2007 den Kunst- und Kulturpreis der Stadt Luzern erhält – seit nunmehr dreissig Jahren vehement jeglichen Regeln und Kanonisierungsprozessen. Indem er sich auf keine künstlerische Ausdrucksform festlegt, sich zugleich ihrer Vielfalt aber virtuos bedient, vermag Rütimann sein eigenes künstlerisches Agieren, die Position des Kunstschaffenden in der Gesellschaft und die Vielfältigkeit der künstlerischen Strategien zu reflektieren und sie – mitunter auch augenzwinkernd – mit neuen Fragen zu konfrontieren.
Gioia Dal Molin
„Ich habe mich schwer getan mit Malerei und Zeichnung“, bemerkt Rütimann rückblickend auf seine Luzerner Ausbildungszeit und die erste, von der Performance dominierte Schaffensphase in den frühen 1980er Jahren. Zugleich erinnert er sich aber auch an ein Gefühl der Freiheit, das zu Beginn des Jahrzehnts in der Luft lag. Gemäss Rütimann resultierte diese Stimmung vor allem daraus, dass sich die Kunst des 20. Jahrhunderts bereits mit allen ihren Ausprägungen differenziert beschäftigt hatte: „Nachdem alles untersucht war, konnte man sich wieder frei bewegen.“ Es ist diese Freiheit, die sich auch in Rütimanns bald dreissigjährigem künstlerischen Schaffen manifestiert und die dennoch Kontinuitäten zu generieren vermag. So lassen sich trotz der ab und an verwirrenden Vielzahl von künstlerischen Strategien Schwerpunkte in Rütimanns Œuvre ausmachen. Der performative Ansatz, die Linie als zwei- und dreidimensionale Grenzmarkierung, die Farbe, die Komponente des Zufalls und der Gravitation sind wiederkehrende und zugleich auch miteinander verknüpfte Elemente in seinem Werk. Rütimann malt, zeichnet, ist Performer, schafft Installationen, arbeitet mit Foto- und Videokamera, räumt jedoch keinem dieser Ausdrucksmittel eine Sonderstellung ein.
1983 führt Rütimann am Performance-Festival im Palazzo Liestal „Natura morta in pezzi“ auf und greift durch den Einbezug von Klang, Sprache und theatralischen Elementen Aspekte auf, die für sein späteres Schaffen prägend sein sollten. Ebenfalls in den frühen 1980er Jahren führt Rütimann die ersten Experimente mit Ton und Klang durch, die er später zu wahren Klangperformances verdichtet. Zur Performance als künstlerische Aktionsform kehrt Rütimann im Verlaufe seines Werdegangs immer wieder zurück. Zu nennen sind hier Aktionen wie „Der grosse Schlaf“ (1995) oder „Regalschlaf“ (1999), die sich der kunsthistorisch tradierten Schlafdarstellungen annähern oder die 1994 und 2002 realisierten Performances „Hängen am Museum“ (Vgl.: KML L 2003.6:1-4v, KML L 2003.7:1-4v) mit denen der Künstler unter anderem die physischen Möglichkeiten der Kunst auslotet und seine Position als Kunstschaffender kritisch hinterfragt.
Ein performativer Charakter ist ebenfalls der für Rütimann zentralen Beschäftigung mit der Linie immanent. 1987 zieht der Künstler für eine Ausstellung im Kunstmuseum Luzern seine erste grosse Linie. Auf einem eigens dafür angefertigten Wagen lässt er sich über die ausgelegten Papierbögen ziehen und zeichnet die Linie in einem Zug. Blatt an Blatt werden die Bögen an die Wand gehängt. Rütimann nennt die Installation „Die Unschärfe der Lilie“, die Ausstellungsbesucher stolpern über das L, irritiert von der mehr sprachlichen denn bildlichen Unschärfe. Zwei Jahre danach konzipiert er für die Shedhalle in Zürich erneut eine Linie auf Papier, zusätzlich platziert er in der Mitte des Raumes „Die endlose Linie“, eine grosses Skulptur aus einem Stahlrohr, das an ein physikalisches Modell erinnert. Die Beschäftigung mit der Linie ist für Rütimann auch der Ausgangspunkt für seine Zeichnungen, sie bildet das Zentrum seiner formalen zeichnerischen Recherchen, aus ihr entwickeln sich die mannigfachen Formen, die Rütimann zumeist mit Tusche entwirft. Die „Grosse Zeichnung“ (Vgl.: KML D 91.4x, Titelgebung verifizieren!), die er 1990/1991 für das Kunstmuseum Luzern ausführt, bricht mit den tradierten Dimensionen der Zeichnung und visualisiert einen an- und abschwellenden Energiefluss, den Rütimann – inspiriert von der Astrophysik – mit Tusche festhält.
1993 vertritt Rütimann die Schweiz an der Biennale in Venedig. Seine „Schiefe Ebene“ in der Kirche San Staë lehnt sich im weitesten Sinne erneut an das Element der Linie an: Die konkrete visuelle Irritation ist bedingt durch die – auch der Linie inhärente – Grenzziehung, die auf der Ebene der Dreidimensionalität die schiefe weisse Fläche aus Gips mit der vertikalen und horizontalen Ausrichtung der Barockkirche konfrontiert. Der Chorbereich der Kirche kann nicht mehr betreten werden, fast scheinen die Gemälde ob der Schräglage ins Gleiten zu kommen. Rütimanns Auseinandersetzung mit der Ebene in den frühen 1990er Jahren geht die Beschäftigung mit den Waagen voraus, die in seinem Œuvre einen weiteren Fokus bildet. So baut der Künstler 1991 seine erste schiefe Ebene im Kunstmuseum Luzern für eine Kopf stehende Briefwaage und konzipiert den Neigungswinkel der Ebene derart, dass das Eigengewicht der Waage dem eines Briefes entspricht. Weiter visualisieren die sich selbst wiegenden Waagen auch die Komponenten des Gewichts und der Gravitation, die Rütimann bezüglich seiner Waageninstallationen als zentral erachtet. Neben den performativen Strategien oder dem künstlerischen Ausdrucksmittel der Zeichnung und der Installation beschäftigt sich Rütimann immer wieder mit der Malerei. Die in den frühen 1980er Jahren zu verortende Skepsis gegenüber dem klassischen Ausdrucksmittel manifestiert sich in verschiedenen Annäherungsphasen an die Geschichte der Malerei einerseits und an ihre Überwindung andererseits. Um 1980 setzt sich Rütimann mittels Performances und Fotoarbeiten mit dem tradierten Genre des Stilllebens auseinander, zugleich zeugen spielerische Rückgriffe auf Marcel Duchamps Ikonen der Kunstgeschichte von einer Beschäftigung mit der Kunst jenseits der Malerei. Die „Schiefe Ebene“ in San Staë ergänzt er 1993 mit grossformatigen Hinterglasmalereien, die durch den Spiegelungseffekt die Malerei als bildgebendes Element in Frage stellen.
Christoph Rütimann widersetzt sich mit seinem Œuvre – für das er 2007 den Kunst- und Kulturpreis der Stadt Luzern erhält – seit nunmehr dreissig Jahren vehement jeglichen Regeln und Kanonisierungsprozessen. Indem er sich auf keine künstlerische Ausdrucksform festlegt, sich zugleich ihrer Vielfalt aber virtuos bedient, vermag Rütimann sein eigenes künstlerisches Agieren, die Position des Kunstschaffenden in der Gesellschaft und die Vielfältigkeit der künstlerischen Strategien zu reflektieren und sie – mitunter auch augenzwinkernd – mit neuen Fragen zu konfrontieren.
Gioia Dal Molin