Another World

Zwölf Bettgeschichten

15.06.29.09.2002
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15.06.
29.09.2002

Mit Louise Bourgeois, Tracy Emin, Eric Fischl, Robert Gober, Mona Hatoum, Ferdinand Hodler, Yoko Ono und John Lennon, David Reed, Pipilotti Rist, Doris Salcedo, Chiharu Shiota, Roman Signer, Hannah Wilke

Das Kunstmuseum Luzern verwandelt sich in eine spannende Passage zu anderen Welten. Die raumbezogene Ausstellung im neuen Standort des Kunstmuseums Luzern im KKL, erbaut von Jean Nouvel, vereint eine Reihe von Hauptwerken internationaler zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler. Tauchen Sie ein in die Welten von Louise Bourgeois, Robert Gober, Mona Hatoum, Rebecca Horn, Pipilotti Rist und anderen.

Das Bett ist ein Hort der Ruhe, des Schlafes, der Rekreation, es ist der Platz für Lust und Liebe, aber auch für Krankheit und Sterben. Es ist eine Stätte des Übergangs, in ihm ruhen gleichermassen Anfang und Ende des menschlichen Lebenszyklus, in ihm werden die Grenzen unseres Lebens überschreitbar. Geburt, Schlaf, Traum, Alptraum, Erinnerung, Ekstase, Erneuerung, Tod sind Ereignisse, bzw. Zustände, die unter Ausschaltung der Kontrolle des Bewusstseins neue Welten erschliessen.

Das Bett ist ein bedeutungsgeladenes Objekt. Es steht für Intimität und steckt zugleich ein Feld der Macht ab. Seine Präsenz löst bei uns Betrachterinnen und Betrachtern Emotionen aus, weckt Erinnerungen, zieht uns aber auch physisch in seinen Bann. Einen Drittel unseres Lebens verbringen wir im Bett, keine andere Umgebung ist uns so vertraut, gibt uns dieselbe Geborgenheit, und doch unternehmen wir im Bett auch unsere weitesten Reisen, wir machen dort unsere tiefsten Erlebnisse, es eröffnen sich neue Welten, wo sich höchstes Glück und tiefste Verzweiflung berühren, jenseits der Grenzen unserer Alltagswahrnehmung.

Die Rückführung des Privaten zum Öffentlichen durch die Kunst

Das Bett und seine Funktion in der Kultur- und Sozialgeschichte ist nicht Thema der Ausstellung, aber insofern von Belang, als sich das Bett und das Schlafzimmer im Verlauf der letzten zweihundert Jahre von einem zeitweise öffentlichen oder zumindest von mehreren Leuten geteilten Ort zu einer privaten, ja geradezu intimen Stätte gewandelt haben. Nicht zuletzt deshalb löst der Blick ins Schlafzimmer heutzutage Irritation aus, wir ertappen uns als Voyeure, als Eindringlinge in die Intimsphäre anderer Menschen. Noch tabuisierter ist der Blick darauf, was sich im Bett abspielt, sei es der Blick auf eine schlafende Person, sei es der Blick auf sich Liebende, sei es der Blick auf Menschen, die mit Krankheit und Tod ringen. Viele der in der Ausstellung zu sehenden Kunstwerke fordern uns geradezu auf, an den Reisen in die anderen Welten teilzunehmen und in die persönlichen Sphären anderer einzudringen. Sie setzen das Private und Intime dem öffentlichen Blick aus.

Die Ausstellung

Die Auswahl der Exponate, durchwegs Leihgaben von renommierten Museen, Privatsammlungen und den Künstlern, beschränkt sich bewusst auf die Gegenwartskunst und auf Werke, in denen das Bett als Motiv eine zentrale Funktion einnimmt. Sämtliche zeitgenössischen künstlerischen Ausdrucksmittel sind vertreten: Malerei und Zeichnung (Louise Bourgeois, Eric Fischl), Skulptur (Robert Gober, Mona Hatoum), Fotografie (Hannah Wilke), Video (Pipilotti Rist, Roman Signer), Performance (Yoko Ono/John Lennon), Objektkunst (Rebecca Horn, Ilona Németh) sowie Installationen (Louise Bourgeois, David Reed, Chiharu Shiota). Der einzige historische Exkurs legitimiert sich durch die formalen und inhaltlichen Parallelen und zugleich Divergenzen zwischen Ferdinand Hodlers Zyklus zu Krankheit und Tod von Valentine Godé-Darel und Hannah Wilkes Fotografien der Intra-Venus Series, die ihre eigene tödliche Krankheit begleiten.

Horizontal

Als mannigfaltiger Bedeutungsträger scheint das Bett vorerst hauptsächlich als ein inhaltliches Leitmotiv auf. Viele der Bedeutungsaspekte, die das Motiv des Betts in der Kunst besetzt, aber auch die Funktionen, die das Bett als reales Gebrauchsobjekt erfüllt, leiten sich hingegen aus seiner Form ab: der Horizontalen. Im Bett verliert der Mensch seine aufrechte Position. Er schreibt sich gleichsam der Erde ein und überlässt sich einem grösseren Ganzen. Die horizontale Lage und der damit verbundene Blickpunkt von unten bedeutet die Preisgabe der Kontrolle über den Körper und die Umgebung. Dass der Mensch dabei eine aktive Haltung aufgibt und sich in seiner ganzen körperlichen Ausdehnung exponiert, schafft ein verunsicherndes Spannungsfeld zwischen Erleichterung und Schutzlosigkeit.

Spiele der Macht …

Der französische Begriff les horizontales, der die Vertreterinnen des im Deutschen sogenannten horizontalen Gewerbes bezeichnet, spielt beispielsweise auf die körperliche Ausrichtung an und impliziert zugleich Machtkonstellationen. Auf dem Bett liegend bieten sie sich (ihren Körper) dar, in einer Pose der Unterwerfung und Passivität, die dem Freier ein Gefühl der Überlegenheit und der Kontrolle verschafft. Was hier noch Spiel ist, wird in den privaten Schlafzimmern der alltäglichen Welt zur Realität: Wer ist oben, wer ist unten? Wer ist aktiv, wer ist passiv? Wer ist Subjekt, wer ist Objekt? Die Gemälde von Eric Fischl (New York, *1946) vermitteln diese latente Spannung zwischen den Geschlechtern, die unter der aufdringlichen Langeweile einer oberflächlichen Welt des Scheins und Trugs schwelt. Die Ausstellung konfrontiert Fischls Bilder mit der Arbeit Polyfunctional Woman (Get Laid) der jungen slowakischen Künstlerin Ilona Németh (*1963). Aus den sechsundzwanzig Löchern der mit rotem Samt überzogenen Matratze ertönen weibliche Stimmen unterschiedlichen Couleurs und Ausdrucks. Das Bett wird dabei zum Sinnbild des weiblichen Körpers, der durch seine weiche Oberfläche und den Durchbohrungen ein breites Interpretationsfeld auffächert und Metapher nicht nur für den geliebten, sondern auch missbrauchten Körper wird.

… und die Macht des Blicks

Auch der Künstler übt Macht aus, indem er die Szenerie seines Werks, die Posen der Protagonisten und seinen eigenen Blickwinkel – und somit auch den von uns Betrachtenden – bestimmt. Die Ausstellung verdeutlicht dies in der Gegenüberstellung von Werkgruppen aus zwei der eindrücklichsten Zyklen der jüngeren Kunstgeschichte. Ferdinand Hodler (1853–1918) dokumentiert 1914 bis 1915 über ein Jahr lang in Dutzenden von Zeichnungen und Gemälden die akute Zeit der Krankheit und das Sterben seiner Geliebten. Mag Valentine Godé-Darel sicher unerträglich an Schmerzen und Erschöpfung gelitten haben, die sie weitgehend zur Immobilität verurteilten, ist es doch auffallend, wie Hodlers Blick und seine künstlerische Behandlung diese Immobilität der Kranken betont und nie versucht, sie zu durchbrechen. Die «immer erdrückender wirkende Horizontallage» (Brüschweiler) lässt Godé-Darel mehr und mehr als Objekt erscheinen. Die Kranke verbindet sich untrennbar mit ihrer Lebensstätte, dem Bett, und ihr Profil bildet gleichsam die unverrückbare Horizontlinie einer Hodler’schen Landschaft.

Ganz anders der Blick, den die amerikanische Künstlerin Hannah Wilke (1940–1993) auf sich selbst richtet. In den sechziger und siebziger Jahren bekannt geworden durch ihre Performances und anspielungsreichen, inszenierten Selbstbildnisse, hält sie sich selber als Modell auch dann noch die Treue, als eine Krebserkrankung der Lymphdrüsen ihren Körper zu verunstalten und zu zerstören beginnt und er zum schonungslosen Aufzeichnungsgerät der medizinischen Behandlungen wird. Die radikalen fotografischen Selbstbildnisse der Intra-Venus Series (1992–93) sind Zeugnisse des Kampfs gegen eine unheilbare Krankheit, des Lebenswillens und der Hoffnung, aber auch die konsequente Fortsetzung einer künstlerischen Haltung, die die Mittel der Provokation, Ironie und Ambiguität überzeugt und überzeugend einsetzt.

Traumwelt – Gefängnis oder kosmische Unendlichkeit?

Eingelullt und beschützt im Kokon der Nacht, gefangen im Gewebe der Träume und doch angeschlossen ans Netz der unendlichen Möglichkeiten, oder verschollen hinter den Dornenranken und nie wachgeküsst? Die japanische Künstlerin Chiharu Shiota (*1972, lebt seit 1996 in Deutschland) realisiert im grossen Ausstellungsraum des Kunstmuseums Luzern eine poetische und vielschichtige Installation mit dem Titel During Sleep. Keine Grenzen kennt die Traumwelt der bekannten Schweizer Künstlerin Pipilotti Rist (*1962). In der Videoinstallation Extremitäten (weich, weich) von 1996 bildet das Bett den einzigen ruhenden Pol in einem kosmischen Raum. Selbst der Körper löst sich auf, seine Einzelteile durchwandern die Sternennacht Planeten gleich. Ihre Bahnen treffen sich wie zufällig, immer wieder neue Konstellationen bildend.

Das Bett als Hort der Erinnerung

«I need my memories, they are my documents» hat Louise Bourgeois (New York, *1911) einem Postsack eingestickt, der als Unterlage auf dem Bett in ihrer ersten Zelle von 1991 liegt. Im Bett verbringt man die Nacht, es ist eine Stätte des Übergangs in das Zwischenreich der verschiedenen Bewusstseinszustände, die die Nacht ermöglicht oder auch erzwingt. Die Nacht drängt die sichtbare Realität zurück und lässt die Erinnerungen hochsteigen, die wiederum eine vergangene, erlebte Realität wachrufen. Mit den Zellen hat Louise Bourgeois eine künstlerische Form gefunden, die den Erinnerungen einen adäquaten Raum zu geben vermag. Architektonische Aspekte wie innen und aussen (durchaus auch tiefenpsychologisch zu verstehen) oder Einblicke, Durchblicke und mittels Spiegel umgeleitete Sichten sind wichtige Parameter dieser Werkgruppe. Mit Cell I von 1991, Red Room (Parents) von 1994 sowie In and Out von 1995 vereint die Ausstellung drei spannende und komplexe Arbeiten dieser radikalen und wohl bedeutendsten Künstlerin der Gegenwart. Sie bilden zusammen mit einem Traumbild aus den Vierzigerjahren, einigen Grafiken sowie dem noch nie ausgestellten Stoffobjekt Seven in Bed aus dem Jahr 2001 eine kleine monographische Schau innerhalb der Ausstellung.

Bett ist nicht gleich Bett

Wie entscheidend die Wahl des Materials die Wirkung und Bedeutung eines Kunstwerks beeinflusst, demonstriert die erstmalige Zusammenführung von drei skulpturalen Arbeiten der libanesischen Künstlerin Mona Hatoum (*1952, lebt und arbeitet in London), die alle auf dieselbe Form eines Kinderbettchen zurückgehen. Die verwendeten Materialien bestimmen die unterschiedliche Emotionalität der Werke. Die allen drei Objekten innewohnende Verunsicherung nährt sich aus dem Widerspruch zwischen der Geborgenheit eines Kinderbettchens und der potentiellen Gefährdung, die von der Inadäquatheit des Materials ausgeht. Das unbetitelte Bett von 1988 von Robert Gober (New York, *1954) ist ein berühmtes, vielschichtiges, ja geradezu hinterhältiges Kunstwerk. Indem er jede Einzelheit dieses Betts in traditioneller Weise eigenhändig fertigt, dekonstruiert Gober die Readymade-Kunst von Marcel Duchamp, die nach der Pop-Art seit den Achtzigerjahren ein zweites Revival erfährt. Wie schon Mona Hatoum spielt auch Gober mit der hohem Emotionalität von alltäglichen Gegenständen.

Bed-In und Bed-Out

Die japanische Performancekünstlerin Yoko Ono (New York) provozierte mit den Bed-Ins, die sie 1969 zusammen mit John Lennon in Amsterdam und Montreal veranstaltete, die Weltöffentlichkeit. Dies nicht zuletzt, weil sie den Privatraum Schlafzimmer über die Medien mit der Öffentlichkeit teilte. Wie weiland an den königlichen Höfen spielte sich das ganze Leben im und rund ums Bett ab. Yoko Ono und John Lennon assen im Bett, musizierten im Bett, Besucher machten ihre Aufwartung am Bett, über die Medien wurden vom Bett aus Friedensparolen verbreitet. Die Ausstellung blendet unter anderem mit einer Videodokumentation in die späten Sechzigerjahre zurück. Nicht aus dem Bett vertreiben lassen möchte sich der Schläfer im Video Das Bett des Schweizer Künstlers Roman Signer (St. Gallen, *1938). Was ihn dort wohl so hartnäckig bedrängt?

Referenzen ans grosse Kino

David Reed (New York, *1946) rekonstruiert in seinem Werk Scottie’s Bedroom (1995) James Stewarts Schlafzimmer aus Hitchcocks Vertigo und vertauscht dabei auf raffinierte Weise die Rollen von Vor-Bild und Nach-Bild. Buster’s Bedroom (1990) ist eine filmische Hommage an Buster Keaton von Rebecca Horn (Berlin und Odenwald, *1944). Die Künstlerin baute The Lover’s Bed, das Bett der Schauspielerin Valentina Cortese in besagtem Film, zu einem eigenständigen Kunstwerk aus. Flatternde Schmetterlinge verbreiten einen Hauch von fragiler Glückseligkeit.

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